...ist ein Hafenstädtchen und Seebad im Südwesten der Halbinsel Cotentin
...zählt rund 13.000 Einwohner
...hat den Beinamen Monaco des Nordens
...ist die Geburtsstadt von Christian Dior
...war einst ein gefürchtetes Korsaren-Nest
...wurde reich durch den Kabeljaufang vor Neufundland
...feiert ausgiebig Karneval
...isst mit Vorliebe Wellhornschnecken
Der Name Granville soll auf ein Wikinger-Geschlecht zurückgehen, das auf diesem felsigen Hügel über dem Meer in grauer Vorzeit siedelte. Der Name, den die Familie trug, soll Grant geheißen haben - verbürgt ist das aber nicht. Im Laufe der Zeit muss Granville oder Grantville auf unerklärliche Weise das T abhanden gekommen sein. Granville - ohne T - hört sich aber fraglos ein wenig eleganter an als mit T. Ob das Fehlen des fünften Buchstabens im Familiennamen der Grants nun einem schlampigen Kirchenschreiber anzulasten oder einfach nur der sprachlichen Bequemlichkeit der Dorfbewohner geschuldet ist, lässt sich nicht mehr ergründen.
Auf der Spitze des Felsens
Ohnehin war der Ort in früherer Zeit viel zu unbedeutend. Stattlich war bestenfalls die Kirche auf der Spitze des Felsens: Notre-Dame du Cap Lihou. Und so ist noch ein zweiter Name für diesen erhabenen Flecken am Meer überliefert: Kap Lihou. Die strategische Bedeutung von Granville (auf halbem Weg gelegen zwischen Cap de la Hague und dem Mont St. Michel, die bretonische Küste liegt überdies vis-a-vis) erkannten, natürlich, die Engländer, die im 15. Jahrhundert in dieser Ecke der Welt so manchen Händel mit ihren französischen Nachbarn auszutragen hatten. Es ging um viel - den Engländern vor allem um den Mont St. Michel, den legendären Klosterberg, der die Eintrittspforte zum kontinentalen Europa bilden sollte.
Verkauf an England
1439 soll es gewesen sein, als die edle normannische Familie d'Argouges, die bereits 1230 in den Besitz von Granville gekommen war (die Grants hatten sich offenbar nicht mehr weiter vermehrt), den felsigen Ort an Lord Thomas de Scales vertickte. Über den Kaufpreis ist nichts bekannt. Gleichwohl ist es aus heutiger Sicht ein wenig verwunderlich, dass in Zeiten des 100-jährigen Krieges zwischen England und Frankreich ein Stück Land ganz einfach so dem Feinde verkauft werden konnte. Die Bewertung nach heutigen Maßstäben hinkt jedoch den Zeitläuften um ein Beträchtliches hinterher.
Weder gab es damals so etwas wie ein nationalstaatliches Bewusstsein, noch eine klare Trennlinie zwischen Feind und Freund. In einer Zeit der stets wechselnden Koalitionen war mancher Engländer mitunter sehr viel normannischer als dessen Gegner französischer Zunge. Das Jahr 1066 wirkte immer noch nach: Damals hatte ein gewisser Wilhelm, Herzog der Normandie, nach der Schlacht bei Hastings die englische Krone eingesackt. Und so herrschten auch im 15. Jahrhundert noch immer verwandtschaftliche Bande zwischen den bedeutenden und weniger bedeutenden Häusern und Dynastien rechts und links des Ärmelkanals. Der Verkauf Granvilles jedenfalls ist in den Geschichtsbüchern nicht als großer Landesverrat beschrieben.
Französischer Besitz
Lord de Scales, ein erfahrener Heerführer im letzte Drittel des 100-jährigen Krieges und Anhänger des Hauses Lancaster, ließ Granville indes rasch befestigen und überdies einen tiefen wehrhaften Graben ausheben, der den Ort auf dem Felssporn im Prinzip zur Insel machte, der er es im Übrigen auch heute immer noch ist, ohne dass ein Besucher es direkt vergegenwärtigt. Die Zitadelle von Granville und der Hafen brachten den Engländern kein Glück. Nur drei Jahre nach dem Kauf eroberten es die Franzosen in einem Handstreich zurück - und gaben es nie wieder her. Lord de Scales legte das Schwert nicht aus der Hand, focht in den Rosenkriegen zwischen Lancaster und York und wurde schließlich als Kommandant des Tower von London von Anhängern des Hauses York umgebracht.
Eine Heimstatt für Korsaren
Granville wurde hernach von der französischen Krone zur befestigten Stadt ausgebaut und zu einem durchaus bedeutenden Hafen - wenn auch mit zweifelhaftem Ruf. Korsaren fanden hier eine ideale Ausgangsbasis, um im Ärmelkanal Schiffe aufzubringen. Ausgestattet mit Kaperbriefen des Königs störten sie vor allem den englischen Seehandel. Ihre schnellen, hochseetüchtigen Schiffe mit bis zu 40 Kanonen und ihre vorzügliche Seemannschaft waren bei der Royal Navy durchaus gefürchtet.
Immer wieder kam es vor und in Granville zu Scharmützeln. Engländer bombardierten die Stadt von See aus, ohne sie jedoch einnehmen zu können. Die Mauern wurden von der Krone geschleift, dann wieder hochgezogen - und auch die Französische Revolution ging nicht spurlos an der Stadt auf dem Felsen vorüber. Als Truppen aus der Vendée die Stadt belagerten, sollen die Frauen von Granville (die Männer waren auf See) die Angreifer zurückgeschlagen haben, indem sie Cidre-Fässer von den Zinnen auf die Belagerer schleuderten.
Das Zeitalter der Fischer
Das Zeitalter der Piraten neigte sich im 19. Jahrhundert allmählich dem Ende zu, ein neues begann: das der Fischer. Mit schnittigen Schonern gingen die Männer auf große Fahrt Richtung Neufundland, wo es unbegrenzt Kabeljau zu geben schien. Der nussig, feine Fisch findet sich auch heute noch auf jeder Speisekarte eines einigermaßen anständigen Restaurants in Granville - am besten zubereitet in einer normannischen Sauce aus Zwiebeln, Butter, Calvados und einer gehörigen Portion Crème fraîche.
Die Sommerfrischler
Die Fischer fuhren weiter ein und aus, Jahr für Jahr, und irgendwann entdeckte eine neue Spezies das Felsen-Städtchen am atlantischen Meeressaum: die Sommerfrischler. Das begüterte Bürgertum schickte sich an, in den warmen Monaten seine freie Zeit, um Erholung zu finden, an der Küste zu verbringen. Viele einfache Leute taten es ihnen alsbald nach. Granville wurde zum Seebad. Und, um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, wurde 1910 ein Kasino eröffnet. Mondän? Vielleicht, ein wenig. Oder auch: mondän auf Normannisch.
Felsen, Kasino, Meer: alles da. Der Vergleich mit Monaco mag jedoch zumindest aus einem Grunde dann doch nicht stand halten: Granville ist kein Steuerparadies. Wobei: die englischen Kanalinseln sind nur ein paar Fähr-Minuten entfernt. Und dort soll es erheblich mehr Briefkästen als Bewohner geben.